Liebe Freunde,
während sich die Welt gerade anschickt, wieder einmal über Zölle zu verhandeln – mit China,
Großbritannien und wer weiß wem noch –, lohnt ein kurzer Blick zurück auf eine ökonomische Grundwahrheit, die in diesen Zeiten gerne unter den Tisch fällt.
Nicht alles, was laut verkündet wird, ist klug – und nicht alles, was leise gelehrt wird, ist überholt.
Deshalb ein paar Gedanken zur alten, aber immer noch gültigen Idee des fairen Handels:
Die Erkenntnis, dass internationaler Handel den Wohlstand fördert, zählt zu den Gründungsweisheiten der Wirtschaftswissenschaft – und sie wird bis heute an Universitäten gelehrt.
Vereinfacht lässt sich diese Theorie so zusammenfassen:
Selbst wenn ein Land beide gehandelten Produkte günstiger herstellen kann als ein anderes, lohnt sich der Austausch – nämlich dann, wenn sich beide Länder auf das Produkt spezialisieren, das sie
jeweils am effizientesten produzieren können, und dieses gegeneinander tauschen.
Am Ende steht jedes Land besser da.
Diese Erkenntnis wird als Theorie des komparativen Kostenvorteils bezeichnet.
Leider scheint für Donald Trump der Welthandel keine Veranstaltung gegenseitigen Nutzens zu sein – im Gegenteil:
Ausgerechnet die wirtschaftlich mächtigen USA wähnt er als Opfer – ausgeplündert von raffgierigen Schurkenstaaten.
Seine Antwort: höhere Zölle für den Rest der Welt – auch wenn er sie für viele Länder vorerst für 90 Tage ausgesetzt hat. Besonders hart trifft es China.
Trump malt das Zerrbild einer Weltwirtschaft, in der jeder gegen jeden kämpft, in der der Gewinn des einen zwangsläufig der Verlust des
anderen ist.
Man gewinnt den Eindruck, dass der US-Präsident die rauen Regeln der New Yorker Immobilienbranche auf den Welthandel überträgt: ein Nullsummenspiel, bei dem am Ende der Stärkere
siegt.
Was Trump dabei völlig ausblendet:
Die USA selbst profitieren massiv vom globalen Handel – nur eben auf einem anderen Spielfeld.
Multimedia, Social Media, Streamingdienste, Cloud-Technologien, Softwarelösungen und Hightech-Produkte: In all diesen Bereichen überschwemmen amerikanische Konzerne weltweit die
Märkte – oft nahezu konkurrenzlos.
Von Google über Apple und Microsoft bis Netflix, Facebook (Meta) und Amazon – die digitalen Lebenswelten von Milliarden Menschen werden aus dem Silicon Valley gespeist.
Wer hier über "ungerechten Handel" klagt, sitzt auf einem sehr hohen moralischen Ross.
Im Gegenteil: Der wachsende digitale Einfluss amerikanischer Tech-Giganten wird vielerorts bereits als ökonomisches Damoklesschwert wahrgenommen.
Doch dieser Ansatz ist grundfalsch.
Die Weltwirtschaft ist kein Nullsummenspiel. Ihr Wesen ist das Streben nach „mehr“, in der Regel: nach Wachstum.
Der Handel trägt dazu bei. Er steigert den Wohlstand – auf beiden Seiten.
Noch so hohe Zölle werden daran nichts ändern.
Ausgeschlossen ist, dass Trump die USA in eine Exportnation verwandelt – denn exportieren kann nur, wer mehr produziert, als er selbst verbraucht. Wer also spart.
Die Amerikaner jedoch leben seit Jahrzehnten auf Pump: Sie konsumieren mehr, als sie herstellen. Die Folge: ein chronisches Handelsbilanzdefizit.
Trump irrt auch, wenn er glaubt, ausländische Exporteure würden seine Zölle zahlen.
In der Praxis werden diese Kosten meist auf die Verbraucher abgewälzt. Seine Zölle laufen daher auf eine riesige Steuererhöhung für die amerikanische Bevölkerung hinaus – steigende Preise
inklusive.
Oder, um es pointiert zu sagen:
Die Weltwirtschaft funktioniert wie einvernehmlicher Sex unter Erwachsenen – entscheidend ist das gegenseitige Einvernehmen!
Ich wünsche Euch einen schönen Sommer – mit klarem Blick auf das große Ganze!
Herzlich euer
Herbert Meyer
in großzügiger Anlehnung an einen Text von
Ronald Schwarz
eingestellt am 12.05.2025 HAM
Trumps Bluff entlarvt:
Ist Selenskyj der heimliche Gewinner des Eklats im Weißen Haus. Es scheint, als habe Trump das Schicksal der Ukraine besiegelt. Doch tatsächlich zeigt der Eklat, dass Selenskyj bessere Karten hat als gedacht. Trump muss ihm nämlich nun ein Angebot machen.
Es schien, als sei der ukrainische Präsident wie
ein geprügelter Hund aus dem Weißen Haus gejagt worden. US-Präsident Donald Trump und sein Vize J.D. Vance warfen Wolodymyr Selenskyj mangelnde Bereitschaft zum Frieden vor. Die Ukraine sei im
Begriff zu verlieren und Selenskyj habe „schlechte Karten auf der Hand“, so Trump.
Der US-Präsident war überzeugt, wie in einem Pokerspiel, Selenskyjs Bluff entlarven zu können. Doch der schmiss sein Blatt nicht weg, sondern legte im Gegenzug Trumps Bluff offen: Tatsächlich hat
Selenskyj vor der Weltöffentlichkeit gezeigt, dass er bessere Karten auf der Hand hat als Trump hoffte.
Natürlich sitzt Washington langfristig am längeren Hebel. Abgesehen davon, dass auch die Trump-Administration keinerlei Interesse an einem russischen Sieg hat, hat Selenskyj nämlich zwei Dinge
anzubieten, die Trump unbedingt will. Beide braucht er aus innenpolitischen Gründen, und zwar dringend. Erstens einen Waffenstillstand, denn Trumps immerfort wiederholte großspurige Ankündigung,
einen Frieden innerhalb von 24 Stunden zu stiften, wird täglich lächerlicher.
Zweitens ein Rohstoffabkommen, damit Trump der eigenen Basis demonstrieren kann, dass er etwas herausgeschlagen hat, anstatt wie Joe Biden immer nur zu geben. Die MAGA-Meute lechzt nach einem
Deal.
Gleichzeitig hat Trump Selenskyj aber weniger anzubieten als man auf den ersten Blick denken könnte. Die zentralen ukrainischen Wünsche nach Sicherheitsgarantien oder eine Nato-Mitgliedschaft standen
gar nicht zur Debatte. So wird es für Trump keinen Deal geben. Denn Druckmittel hat er auch kaum. Mit zusätzlichen US-Waffenlieferungen in naher Zukunft rechnet man in Kiew ohnehin nicht, und die
immer noch eintreffenden, bereits unter Biden beschlossenen Lieferungen kann Trump ohne Zustimmung im Senat und Kongress gar nicht stoppen.
Dort sitzen zudem weiterhin auch viele Republikaner, die die Ukraine unterstützen wollen. Und Trump will keinesfalls den ohnehin bestehenden Graben zwischen pro-ukrainischen und anti-ukrainischen
Parteimitgliedern vertiefen und eine Spaltung der mühsam geeinten MAGA-Partei riskiert. Trump hat die Europäer mobilisiert – und Saudi-Arabien verschreckt. Denn im Nahen Osten will Trump mit
Saudi-Arabien einen Megadeal aushandeln, um die gesamte Region zu befrieden. Für die beteiligten Staaten ist das allerdings nur so lange interessant, wie sie auf die Bündnistreue der USA vertrauen
können.
Die öffentliche Demütigung des Präsidenten eines Verbündeten, dem man vor wenigen Tagen noch mehr Unterstützung in Aussicht stellte, dürfte nicht nur die Scheichs zutiefst beunruhigen.
Zudem hat die von vielen als epochal empfundene Pressekonferenz im Weißen Haus auch die europäischen Unterstützer der Ukraine noch stärker mobilisiert. Schon zwei Tage später arbeitet Europa mit
einem seit Monaten nicht mehr gesehen Elan an einer Stärkung der ukrainischen Position.
Die Ukraine wird auf die nächsten Monate gesehen weiterkämpfen können. Trump hingegen läuft die Zeit davon. Und die ukrainische Seite ist sich dieser, zumindest kurzfristig starken Position bewusst.
Trump muss nun Selenskyj ein Angebot machen. Selenskyj demonstrierte dies nicht zuletzt damit, dass er die Aufforderung der US-Seite, einen Anzug bei dem Treffen zu tragen, ignorierte und in
gewohnter Militärmontur aufschlug.
...oder sieht sich Putin schon als Sieger? Experten beobachten veränderte russische Taktik – Soldaten werden sparsamer eingesetzt. Was reizt Trump so sehr an Putin? „Zwei alte Männer, die die bipolare Weltordnung wiederherstellen wollen“? Oder hat Putin gegen Trump Druckmittel in der Reserve?
Herbert A. Meyer 06.März 2025